Neben klassischen Projektmethoden wie der Wasserfallentwicklung werden für IT-Projekte international zunehmend agile Projektmethoden verwendet. Allerdings hängt Deutschland bei der Nutzung von agilen Methoden im internationalen Vergleich hinterher. In diesem Beitrag wird ein Ansatz erklärt, weshalb agile Methoden nur langsam Zugang in den deutschen Markt finden. Zeitgleich wird aus einer eigenen Projekterfahrung berichtet, wie agile Methoden trotz klassischer Unternehmensstruktur gelingen können und wie Unternehmen so von agiler Projektführung profitieren können.
Was wird unter agilen Projektmethoden verstanden?
Mit agiler Projektmethoden wird die Abkehr von festen Institutionen und Vorschriftssammlungen hin zu einer dynamischen und modernen Arbeitsweise verbunden. Agile Projektleitung besteht darin, eine lange Produktentwicklungsphase mit einem festen Release-Zeitpunkt aufzuteilen in viele kleinere Entwicklungsphasen mit eigenen Einsätzen. Diese sogenannten Sprints besitzen dabei jeweils eine eigene Planung und Zielsetzung. Bereits nach dem ersten Sprint entsteht ein minimum viable product (MVP), welches aus den fundamentalen Funktionen der angeforderten Anwendung besteht. Dieses wird direkt mit dem Kunden getestet und das Feedback fließt in die nächsten Sprintplanungen ein. So wird das Produkt inkrementell verbessert. Die unterschiedlichen agilen Methoden wie Scrum oder Kanban gehen dabei jeweils mit eigenen Rollen und Aufgaben einher.
Wie ist die agile Ausgangslage in Deutschland?
In einer 2020 veröffentlichten Studie der Universität Karlsruhe [1] wurden 655 Unternehmen aus 16 Ländern nach Ihrem Einsatz von agilen Methoden befragt. Während in China 88% und in Indien 82% der Unternehmen agile Methoden verwenden, werden nur in 45% der deutschen Unternehmen agile Methoden eingesetzt.
Ein Erklärungsansatz hierfür stellt die Unternehmenskultur Deutschlands dar. In einer amerikanischen Studie [2] wurde ermittelt, dass in den meisten Fällen agile Projekte scheitern, da die Unternehmensprozesse nicht mit agilen Methoden kompatibel sind. Dies war in 46% der ausgewerteten Projekte der Fall. In 43% der Projekte lag die scheiternde Umsetzung an Konflikten mit der Unternehmenskultur und in 42% der Projekte scheiterte das Vorhaben, weil sich allgemein organisatorischer Widerstand gegen verbundene Veränderung gebildet hat.
Diese Punkte lassen sich alle auf die deutsche Unternehmenskultur übertragen. Deutschland gehört nicht nur im Volksmund zu den meistbürokratisierten Ländern der Welt. Daher scheitert ein radikaler Übergang zu agilen Methoden aus eigener Projekterfahrung beispielsweise daran, dass Rollen und Strukturen nicht mit anderen Teams und Abteilungen übereinstimmen. So müssen sich Projektleiter anderer Teams mit Scrum-Mastern organisieren und aufwendige Release- und Dokumentationsverfahren kommen den regelmäßigen Sprinteinsetzen in die Quere. Wie kann nun trotz des Drucks der Unternehmensorganisation von den Vorteilen der agilen Projektleitung profitiert werden?
Agile Projekte in klassischen Unternehmensstrukturen – Ein Erfahrungsbericht
Ein Beispiel dafür bietet eine Kundenerfahrung bei einem IT-Dienstleister in der Finanzbranche.
Hier wurde für ein Teilprojekt eine hybride sprintbasierte Projektleitung verwendet, in der allerdings an den Rollen der klassischen Projektleitung festgehalten worden ist. Für die durchgeführten regelmäßigen Einsätze wurde eine Sonderreglung in den sonst klassischen Unternehmensstrukturen gefunden. Die regulär für ein Release benötigten Dokumente und Meilensteine wurden dabei unterteilt in solche die pro Einsatz und solche die zum Hauptrelease zu erstellen sind. So mussten zum Beispiel Kundenabnahmen pro Einsatz dokumentiert werden, wohingegen Endnutzerdokumentationen nur zum Projektabschluss erstellt werden mussten.
Über ein halbes Jahr wurde in monatlichen Sprints und enger Zusammenarbeit mit den Anforderern das Projekt umgesetzt. Die Sprints wurden dabei überlappend strukturiert, so dass die Kundentestphase des ersten Sprints (s. Sprint X‑1 in Abbildung 1) parallel mit der Entwicklungsphase des zweiten Sprints verlief (Sprint X). Das Feedback der Kunden aus dem Sprint Review wurde demnach für den übernächsten Sprint berücksichtigt (Sprint X+1). Parallel zur Planung des Sprint X+1 wurde sich mit der Erfüllung der Unternehmensregularien zu Sprint X beschäftigt.
Vorteile und Herausforderungen des hybriden Modells
Welche Erfahrungen wurden mit der hybriden Mischform aus klassischen Rollen und agilen Einsätzen gemacht?
Grundsätzlich konnte von allen regulären Vorteilen der agilen Projektleitung profitiert werden.
Durch den regelmäßigen Kundenaustausch in den Sprintreviews konnten Anforderungen stetig nachgeschärft und Prioritäten an der Praxis evaluiert werden. Das Produkt ist durch die Nutzung an den Wünschen der Kunden gewachsen.
Außerdem fiel durch die regelmäßige Kontrolle auf Produktion die Notwendigkeit weg, jeden möglichen Testfall in einem separaten Testsystem nachzustellen. Es mussten also weniger produktionsnahe Testdaten generiert werden. Grade bei großen und komplexen Firmen mit vielen Geschäftsprozessen liegt ein konsistentes, produktionsnahes Testsystem nicht immer vor. So konnten Unterschiede, die sich durch einen Bias in einer Testumgebung ergeben grundsätzlich ausgeschlossen werden.
Auch konnten Abnahmeprozesse durch die regelmäßigen kleineren Einsätze vereinfacht und optimiert werden.
Schlussendlich konnten auch viele Kinderkrankheiten der umgesetzten Anwendung durch die intensive und regelmäßige Nutzung schneller identifiziert und behoben werden. Das Ergebnis ist daher kundenorientierter und stabiler als vergleichbare Umsetzungen.
Für die erzielten Mehrwerte musste ein erhöhter Aufwand an Dokumentation und Absprachen in Kauf genommen werden. Die klassischen Unternehmensstrukturen wurden beachtet und so musste eine Reihe von Regularien pro Einsatz erfüllt werden. Die Projektleitung schätzte, dass ein Mitarbeiter nur mit Dokumentation und dem Erfüllen von Regularien beschäftigt war.
Nichtsdestotrotz war die Kundenerfahrung übergreifend positiv. Der Auftraggeber fühlte sich durch den regelmäßigen Austausch wertgeschätzt und das finale Produkt wurde zum Gesamtrelease problemlos übergeben. In Zukunft soll das Verfahren in anderen Teilprojekten genutzt werden.
Ob für ein Projekt eine agile, eine klassische oder wie hier beschrieben eine hybride Projektlösung geeignet ist, muss immer im Einzelfall betrachtet werden. Durch die Expertise der saracus Consulting GmbH aus vielen Kundenprojekten kann immer die richtige Methode für Ihre Situation gefunden werden.
Quellenverzeichnis:
[2] https://digital.ai/resource-center/analyst-reports/state-of-agile-report/
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